Textor: „Ich weiß nicht, ob Mensch Hiphop braucht, aber ich brauche es auf jeden Fall.“

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Ich erwähne am Anfang des Gesprächs gerne, dass wir beim Schleckermäulchen sind und vorzugsweise über Essen und Musik gesprochen wird. Es kommt schon mal vor, dass der Künstler, die Künstlerin nicht darüber informiert ist. Textor scheint aber seine Hausaufgaben gemacht zu haben und meint: „So viel Zeit muss sein, sich über das anstehende Gespräch zu informieren.“ Das finde ich auch, dabei hat Henrik von Holtum, so sein bürgerlicher Name, gerade selbst sehr viel zu tun. Nicht nur sein neues Album „So Tun Als Ob“ (VÖ: 5. April 2024) muss promotet werden, sondern der gelernte Orchestermusiker arbeitet auch als Redakteur fürs Radio, und es müssen noch einige Beiträge fertig werden. Außerdem unterrichtet er noch an der Uni. Textor ist auch bekannt als Mitglied von Kinderzimmer Production, die vor allem in den 1990ern mit ihrem HipHop für Aufmerksamkeit sorgten.
Wir sprechen über gute und schlechte Kritiken, leckere Teigwaren aus dem Süden Deutschlands, unnötiges Auskotzen in den sozialen Medien, rappen mit 80, und Sleaford Mods gönnen wir alles Geld der Welt. Wir treffen uns in Kreuzberg und können schon in der warmen Vormittagssonne draußen einen Kaffee trinken.

Bist du ein Frühstückstyp?

Textor: Ich bin Existenzialist, glaube ich. Normalerweise ist es ein Cappuccino mit Croissant, nachdem ich meinen Sohn zur Kita gebracht habe. Ich bin nicht opulent, also, hier noch eine Erdbeere und dort ein kandiertes Minzblättchen, wobei ich darüber gerne diskutiere, wenn das jemand macht. Ich möchte schon, dass es gut ist und lass dann aber lieber was weg.

Hast du früher mal geraucht?

Textor: Ja.

Dann gab es da wahrscheinlich klassisch Kaffee und Kippe.

Textor: Auf jeden Fall. Auch früh. Ich glaube Essen und Zeit stehen in Korrelation. Das war alles noch vor Kind, aber morgens Kaffee und Zigarette musste sein. Boah, und dann noch eine Gitarre in der Hand…

Und noch leicht verkatert…

Textor: Auch gerne.

Da hat man doch noch ganz anders Texte geschrieben. Wie hat sich für dich das Texte schreiben verändert, wenn man das so einfach zusammenfassen kann. Auch nach der Pandemie und mit den heutigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, Kriegen und Katastrophen gibt es doch noch mehr Futter fürs Hirn.

Textor: Es ist komplexer. Das hat mit zwei Sachen zu tun. Das eine ist, dass man mit 19 Jahren klarere Antworten findet. Meine Welt war kleiner, obwohl ich dachte sie wäre größer. Die Selbsteinschätzung hat sich geändert. Und die politischen und sozialen Umstände waren sicherlich genauso kompliziert, haben sich aber einfacher angefühlt. Die Nachrichtenlage war kongruenter. Man hat sich auf ähnliche Quellen bezogen. Als das Internet kam, Social Media stärker wurde und mit Corona dann der Höhepunkt erreicht war, wurde klar, die Leute gehen nicht von denselben Sachen aus. Faktizität als Grundlage ist zurückgegangen. Die Idee, dass Sachen evidenzbasiert sein sollten, ist nicht mehr so populär, wie sie mal war. Die ganze Idee sich dagegen anzulehnen oder sich daran zu reiben mit offeneren Konzepten ist jetzt fast schon an der Grenze des Verantwortungslosen. Die Idee, ein Statement mal einfach rauszuballern mit ‘nem Ellebogen drinnen, das ist nicht mehr so opportun. Die ganze Hiphop-Energie, die ja viel mit so einem Geballer zu tun hat, die macht auch nicht mehr so uneingeschränkt Freude, weil das jetzt eher so top down gemacht wird. Die Art, wie zum Beispiel Trump kommuniziert, alles rausballert und das gepaart mit der Persönlichkeitsstruktur, dem Narzissmus, der Machtstruktur, das sind alles Dinge, die sind richtig Bäh (schüttelt sich). Man wird deutlich zurückgenommener, vorsichtiger, bedachter. Was nicht immer hilft.

Bist du viel bei Social Media unterwegs?

Textor: Ich genieße es nicht. Das Ding ist, dass ich Social Media von Anfang an als eine Tüte Kartoffelchips gesehen habe. Man macht es auf und haut sich alles über die eigene Grenze hinaus rein. Ich gucke mir das an, aber habe überhaupt gar kein Bedürfnis da irgendwas weiterzumachen. Als Musiker bin ich etwas gezwungen, das ein bisschen zu bedienen, wobei ich gar nicht weiß, ob das jetzt noch was bringt, aber es gehört zur Etikette.

(dann wird unsere Aufnahme kurz unterbrochen, durch lautes Geschrei von einem Mann gegenüber)

Textor: Das ist auch eine Sache, die zugenommen hat. Leute, die laut schreien müssen. 

Generell hat die Aggressivität zugenommen.

Textor: Es wird direkter, konfrontativer, teilweise auch wirklich körperlich, gerade auch hier in Berlin. Da ist auch viel Verzweiflung. Die Obdachlosigkeit wird immer jünger.

Und ich finde, die Drogen werden auch immer krasser, oder?

Textor: Ich habe keine Ahnung von Drogen, aber sehe, dass Leute in U-Bahn-Stationen sich Zeug von Blechen ziehen. Gott weiß, was es ist. Ich habe das Gefühl, das hat mit so einer Missbrauchsgrenze zu tun. Egal, von was ich mir zu viel reinballer, ob das Alkohol oder sonst was ist, sobald es ein gewisses Maß überschreitet, passieren komische Sachen.

Bist du denn noch gerne in Berlin?

Textor: Ich bin gerne an einem Platz, wo die Sachen tatsächlich passieren. Ich sehe es auch als Training. Es ist natürlich anstrengend, wenn man schreiende Leute hat, aber das ist es, um was es eigentlich geht. In Ulm Söflingen kann ich mich fantastisch davon freihalten, zahle das aber mit einer gewissen Keimfreiheit, die nicht stimmt. Nichts gegen Ulm Söflingen, aber…

Das Münster in Ulm. Fotocredit: thorstenrodeitwilken auf Pixabay

Ich war tatsächlich noch nie in Ulm. Wie würdest du die Stadt beschreiben, abgesehen von keimfrei. Ist schon ein schönes Städtchen, oder?

Textor: Auf der elementaren Ebene ist vor allem im deutschen Süden vieles sehr gut. Nehmen wir zum Beispiel das Essen. Das Brot ist lecker. Bäckereien, wahrscheinlich bin ich da wieder Existentialist, aber diese Sachen sind erstmal gut. Schwäbisches Essen ist gradlinig, aber ich liebe das. Hat wenig Schnörkel und ist nicht raffiniert, aber halt gut. Spätzle sind so ein Ding, wenn man versucht die selbst zu machen, weiß man, was da alles schief gehen kann. Das ist so wie beim Bier, drei Zutaten, kein großes Geheimnis.

Kannst du es denn gut? Kochst du überhaupt?

Textor: Kochen bereitet mir großes Vergnügen, aber ich würde mich nie mit einer schwäbischen Hausfrau in der Richtung battlen wollen.

Man muss die schon von Hand schlagen.

Textor: Ja, aber das ist nicht so schwer.

Also, ich habe schon mit Schwaben Spätzle gemacht und da kam es sehr genau auf die geschlagenen Blasen im Teig an.

Textor: (lacht) Ok, bei mir ist es dann eher die Frage der Konsistenz. Also, wenn man sie vom Brett schabt, dass es so runter geht, aber nicht zu dünn, damit es dann nicht zu einem undefinierbaren Matsch verkocht. Die müssen auch rechtzeitig raus und so, also sollte man schon wach sein.

Was ist dein Lieblingsgericht aus der Kindheit?

Textor: Da muss ich kurz überlegen. Ich war ein typisches Kind Kind, also Pommes sind super, Spaghetti sind auch toll. Da war jetzt nichts Überraschendes dabei. Und natürlich Spätzle mit Bratensoße. Die gab es in jeder guten schwäbischen Gaststätte.

Stimmt, es muss auch bei allem Soße dabei sein.

Texor: Ja, das macht auch einen großen Unterschied. Und diese Soßen muss man auch können. Da gibt es eine gute Erinnerung an ein Grießklößchen-Rezept von meiner Mutter. Das war, glaube ich, das einzige Mal, wo sie wirklich Spaß am Kochen hatte. Sonst war es eher so, die Kinder müssen versorgt sein. Sie hat gearbeitet und das war Stress. Die Idee von Kochen als quasi Wellnessübung, war das nicht. Diese Klößchen sind fertig, wenn sie im Topf hochkommen. Und der Moment zu gucken, wo diese Dinger hochkommen, das war so ein Augenblick, den sie mochte und den ich auch gerne hatte. Es ging dabei um den sozialen Rahmen, aber natürlich sind sie auch lecker.

Und dann mit Vanillesoße?

Textor: Nee, die kamen in die Suppe oder in die Gemüsebrühe. Jetzt, wo wir darüber reden, merke ich, ich habe einen Teigschwerpunkt. Eine Glutenallergie wäre sehr unangenehm für mich.

Ich finde Teigsachen auch super, obwohl man ja nicht so viel davon essen sollte.

Textor: Ist mir egal. Ich habe schon das Rauchen aufgehört.

Hast du während der Pandemie denn auch Brot gebacken? Oder eine andere Leidenschaft entdeckt? Gestern war im SZ Magazin ein ganz schönes Interview mit Nick Cave, der seine Liebe zum Töpfern wieder entdeckt hat und Tonfiguren erschafft.

Textor: Das habe ich auch gesehen (lacht). Ich habe da nichts Neues für mich entdeckt. Das grundsätzliche Ding, dass alles langsamer wird und man nicht raus kann und sich sehr auf Sachen fokussiert, das ist für Musiker nicht weiter ungewöhnlich. Viele Freunde haben mir gesagt: Jetzt kann ich endlich Gitarre üben und ja, das war bei mir auch so. Gitarre spielen ist ein nie endender Prozess, zumal ich eigentlich ausgebildeter Kontrabassist bin. Um mit Leuten zu kommunizieren, um schnell was zu tun und es so zu können, dass man nicht das Gefühl hat, man bricht sich die Finger, ist einfach ein guter Skill. Also, daran habe ich viel gearbeitet und das reicht dann auch. Ein Kind und gucken, das man über Wasser bleibt. Ansonsten war die Zeit eher unkreativ. Das war nicht so, als wäre da irgendetwas aus mir rausgekommen. Ich will auch bis heute keine Corona-Songs hören, warum auch. Da ist nichts passiert.

Nick Cave endeckt die Liebe zur Keramik. Fotocredit: Jo Metson Scott, SZ-Magazin

Und jetzt nach Corona hat sich die Lage für Musiker:innen nicht verbessert. Die kleinen Events verkaufen kaum Tickets, die großen Shows werden immer größer und teurer. Wird sich deiner Meinung da noch mal irgendwann was ändern?

Textor: Seit ich unterrichte habe ich mit Leuten zu tun, die ihre Karriere gerade anfangen. In der Zeit habe ich festgestellt, dass wir alle einer alten Idee hinterherrennen, wie Musik vermarktet werden soll. Jetzt kommt noch Social Media on Top und es gibt weniger Geld. Das heißt, du musst nicht nur selbst mischen und aufnehmen, sondern auch mastern und dich um die Promo kümmern. Alles auf einmal. Ich bin jetzt an einem Punkt, dass es als Hobby sich existenziell für mich nicht mehr lohnt. Ich bin bereit zu sagen, wir koppeln das an ein erträgliches Maß, damit Geld zu verdienen. Wo ich einfach sage, hey, ich brauche vier Stunden relevante Zeit am Tag, um das ernsthaft machen zu können. Also, ich mache es nach allen Kriterien, die ich erworben habe, so gut ich kann. Ich hoffe sehr, dass die Leute das Album mögen und damit eine bessere Zeit haben als ohne, aber ich belaste mich nicht mehr damit, ob das passiert.

Liest du noch Kritiken?

Textor: Ja, und da muss ich sagen, kocht es manchmal auch in mir hoch. Dieses sich in der Öffentlichkeit zu übergeben, das verstehe ich nicht. Da würde ich auch von der Wortwahl ernst gemeint sagen: Halt einfach die Klappe. Das ist so eine Sache, die mir bei Social Media allgemein auf die Nerven geht. Bei Kritiken von Journalisten schau ich mir an, was ist da wirklich zielführend. Es gibt Momente, wo ich schon verstehen kann, dein Schreibtisch ist voll mit CDs und ah ja, du bist wieder eins von den traurigen Mädchen, denen A-Moll gut steht, ihr kotzt mich an, raus damit. Da verstehe ich den Impuls, wer warst du noch mal?

Aber dann sollte man doch aufhören, finde ich. Dann sollte man das doch nicht mehr machen, wenn man immer so denkt und sich nur noch über etwas auskotzt.

Textor: Wahrscheinlich wäre das besser. Und dann gibt es aber auch diese Phänomene, die sind so groß und haben so viel Impact, d.h. wenn Taylor Swift jetzt irgendwas tut, egal was, dann ist das gesellschaftlich so relevant, dass wenn ich es gegebenfalls doof finde, es auch kritisieren muss. Das ist aber auch was anderes und geht über die Musik hinaus. Aber wenn ich es jetzt zu tun habe mit rein musikalischem Inhalt, dann gibt es für sowas keinen Grund. Dann kann man es nur zur Seite liegen und es lassen. Warum verpulvert man seine Energie für sowas? Ich fühle mich auch nicht besser, wenn ich jemanden ankotze. Auf der anderen Seite auch noch dafür zu sorgen, dass andere ihre Energie verlieren, ist auch nicht richtig. Da ist persönliche Arbeit gefordert.

Wenn ich Reviews von mir von vor 20 Jahren lese, denke ich auch manchmal, hui. Das hat die Redaktion so durchgewunken? Aber ich muss sagen, da war jetzt nie was richtig Böses dabei und ich hoffe, ich habe keinem/r Künstler:in damit geschadet. Ich mache jetzt viel lieber Interviews und ich lese auch lieber Gespräche mit Musiker:innen, weil ich persönlich mehr davon habe als eine hingerotzte Kritik.

Textor: Da klingelt was bei mir, wenn du das so erzählst. Ich komme aus einer Kultur, wo es darum ging zu sagen, man arbeitet gemeinsam an einer Welt. Man kommuniziert und es war wirklich wichtig, die Informationen zu bekommen, durch Fanzines oder kleineren Magazinen. Jetzt ist die Information eh klar und sollte so kurz wie möglich sein. Da ist der Typ, da kommt das Album, wenn es dich interessiert, gut. Letzten Endes skippst du da rein, und warum ich etwas gut finde oder nicht kenne, liegt an der persönlichen Empfehlung. Wenn ich weiß, dein Musikgeschmack ist toll, dann klick ich es an und höre rein. Aber dieses Ding zu pflegen, was für eine Welt machen wir hier auf und wie machen wir die besser, das halte ich für wichtiger denn je.

Wie bist du denn überhaupt zum Hiphop gekommen? War das von Anfang an dein Ding oder gab es vorher Punk-Phasen oder so?

Textor: Man muss dabei auch den Zeitrahmen so ein bisschen im Blick haben. Ich bin 1974 geboren und habe als 6–7-Jähriger angefangen, mich für Musik zu interessieren. Der Einfluss kam mit meiner Schwester. Ich fand Pop sehr magisch, also Depeche Mode und Nik Kershaw. Das war für mich wirklich unverständlich und rein magisch, was ist das? Mit Einsetzen der Pubertät kam dann das erste Hiphop-Tape und das war wie so ein Schockerlebnis. Im Positiven zu sagen: Sowas gibt es auf der Welt? Und dann wurde ich so ein bisschen snobistisch, was den Makro-Pop anging. Wenn man als Kind dann mal so merkt, das auf dem Rummel nicht Magie herrscht, sondern elektrisches Licht…

Was ja auch seinen magischen Moment haben kann.

Textor: Ja, aber das hat eine Weile länger gebraucht, bevor ich die Magie von elektrischem Licht entdeckt habe. Auf jeden Fall war das Hip Hop direkt auf die Glocke und dann kam auch Indie-Musik dazu, aber einfach nur, weil ich nicht alleine sein wollte und skaten war, und die Leute haben Hardcore gehört. Ich bin dann mit auf die Konzerte gegangen. Bei Techno bin ich nicht mitgegangen. Das hat viel, viel länger gedauert, bevor ich das kapiert habe. Das hat mir dann Hans Nieswandt erklärt.

Der auch ein großer Fan deines neuen Albums „So Tun Als Ob“ ist. Was war denn auf dem ersten Tape für Hip Hop Künstler drauf?

Textor: Wir haben Mixtapes aus den Kasernen bekommen. Wir hatten ja GIs in Neu-Ulm. Da war vorwiegend unbekanntes Zeug drauf. Heavy D & The Boyz waren jetzt nicht so unbekannt, und Big Stuff war da drauf. Dann ganz viel englischer Kram mit Drum Computer. Ich kann es nicht mehr ganz auseinanderhalten, aber dann kam auch relativ schnell Run DMC mit „Raising Hell“ auf Platte raus, die wir uns dann auch gekauft haben. Dann LL Cool J mit „Bigger And Deffer“, die „Radio“ hatte ich noch verpasst.
Der erste Aufschlag war auf jeden Fall diese Drum Computer-in-deine-Fresse-Energie, der zweite Aufschlag kam dann mit Public Enemy „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“, auch wegen diesem Sample-Ding. Die grundlegende Energie und der Sound, das finde ich bis heute tatsächlich sehr magisch. Eine Zeitlang zwischen 1986 und 1994 war ja fast jede Platte irgendwie eine Revolution. Das ging rasend schnell. Leute kamen mit den unterschiedlichsten Konzepten. Allein die Beastie Boys von „Licensed To Ill“, „Paul’s Boutique“ bis „Cheack Your Head“, das war so: What? Und noch mal eine. Das war sehr spannend.

So Tun Als Ob, VÖ: 5.4.2024, Grönland Records

Und dann kam die deutsche Welle, sozusagen. Habt ihr es denn auch mal anfangs mit englischen Texten versucht?

Textor: Wir haben uns verpflichtet gefühlt, was Relevantes zu tun und festgestellt, wir können es auf Englisch nicht sachgerecht machen. Ich für meinen Teil, das habe ich aber auch von anderen Lauten gehört, habe gesagt: Ich glaube, wir müssen das auf Deutsch machen und dann so: Oh Scheiße.

Und das war ja auch noch vor Fanta 4.

Textor: Genau. Wir fühlten uns extrem nischig und dann kamen plötzlich Fanta 4. Und wir so: Das kann man bringen? Das reicht? Ok, das kann ich besser. Das ging vielen so. Das kann es nicht gewesen sein.

Und war es ja auch nicht. Die hatten halt das Glück mit VIVA und so.

Textor: Weißt du was noch dazu kommt. Das muss ich jetzt extra noch dazu sagen. Das ist nicht der Versuch, die Fantas zu dissen, weil die absolut ihren Platz haben. Aber aus der Sicht eines 14- oder 15-Jährigen, der Public Enemy gehört hat und auf der Energie in die Welt will, ist „Jetzt Geht’s Ab“ nicht die richtige Antwort.

Aber im Hiphop wird doch gedisst.

Textor: Ich bin nicht Battle-affin. Ich hatte nie die Sehnsucht, in den Ring zu steigen und besser zu sein als jemand anderes. Aber diese grundsätzliche besser-als-Energie plus so ein bisschen Crack obendrauf, das ist schon ziemlich toll. Hiphop ohne das, ist auch schrecklich langweilig. Ich will die Kante immer noch. Dieses für den Weltfrieden rappen, ist nicht die Nummer.

Verfolgst du denn noch die aktuelle Hiphop-Szene?

Textor: Wenn ein Name dreimal auftaucht, dann check ich das. Ich bin von Leuten umgeben, die da aktiv drinnen sind und damit nehme ich das auf. Ich arbeite mich da nicht durch. Es gibt Leute wie DJ Mad, die machen das und hauen sich alles rein.

Hast du Spotify?

Textor: Ja, wobei ich überlege, das abzuschaffen. Es ist extrem praktisch, vor allem wenn du schnell sein musst. Ich hatte neulich ein Gespräch mit meinem Zahnarzt, der ein extremer Musik-Connaisseur ist. Er meinte: Spotify ist ein Gottesbeweis (lacht). Und ich dann: oder vielleicht eher der Beweis, dass die neue Hölle aus Bequemlichkeit gemacht wird. Ich denke, so ist es wirklich. Himmel und Hölle gleichzeitig.

Wer legt zuhause gemütlich noch eine Platte auf? Ich mache das schon noch, um runterzukommen.

Textor: Mit Vinyl kann ich kaum hektisch sein. Mit Spotify schon.

Hast du noch Vinyl?

Textor: Oh ja.

Kommt dein neues Album auch auf Vinyl raus?

Textor: Oh ja. Es bleibt mein Leit-Medium, ansonsten halte ich etwas für nicht veröffentlicht.

Ich bin heute Morgen aufgewacht mit der Zeile: Hip Hop braucht kein Mensch
Aber Mensch braucht Hip Hop. Eine Zeile von
Fünf Sterne Deluxe „Dein Herz Schlägt Schneller“. Ich scheine mich wirklich gut auf dieses Interview vorbereitet zu haben, aber braucht Mensch Hiphop?

Textor: Das hängt von der Definition ab.

Wie würdest du es denn definieren?

Textor: Was mir hilft beim Verstehen wie Sachen funktionieren und wie ich darauf reagiere, ist der Vergleich wie Jazz sich entwickelt hat. Ich habe mit meinem Vater viel Jazz gehört und es gibt so einen Umschwung um 1970 herum. Da ändert sich alles. Der Sound, die Leute, die Klamotten, der Anspruch ändert sich. Die Idee von Swing geht völlig raus, aber es steht immer noch Jazz drauf. Hiphop hat so eine ähnliche Entwicklung gemacht. Es geht darum zu Ballern, gerne auch zwanzig Mal das gleiche, Hauptsache jeden Tag zwei Tracks. Da hat sich dann auch viel im Sound, an der Sample-Basis geändert. Ganz viele Sachen, wo ich auch nicht mehr mitgehe. Da bin ich nicht mehr dabei. Würde aber auch nicht draufschreiben, das ist kein Hiphop, sondern einfach sagen, ok, Hiphop hat sich jetzt so erweitert, wo es Territorien gibt, wo ich nichts zu verloren habe. Ich weiß nicht, ob Mensch Hiphop braucht, aber ich brauche es auf jeden Fall. Dieses Gefühl, diese Energie, die mir ein Track gibt, macht mich einfach 10 cm größer. Das will ich haben.

Kennst du Sleaford Mods?

Textor: Ja, klar.

Das ist auch so eine Musik, wo man die Energie sofort spürt und mich persönlich mitreißt. Die liebe ich sehr, auch wenn man Schwierigkeiten hat, den Text sofort zu verstehen.

Textor: Man versteht kaum einen Text, ehrlich gesagt.

Damit muss man sich dann etwas näher beschäftigen. Aber wie gut ist das bitte, diese zwei Typen mit Laptop auf der Bühne und dann dieser Rumpel-Sound, der von Platte zu Platte besser wird und natürlich die rotzigen Vocals von Jason.

Textor: Wahnsinnig gut und die sind auch ein ganz schönes Beispiel, als Fortsetzung von The Streets. Anfangs fand ich die Beats bei The Streets cheap, aber dann irgendwann fand ich gerade das ziemlich geil. Für Sleaford Mods war ich im Prinzip dann schon vorbereitet. Nach meinem Empfinden passieren die spannenderen Sachen im Moment in England. Ich entdecke da noch sehr viel. Snowy, der ja auch mit Jason Williamson einen Track gemacht hat. Auch ne richtige Bombe. Und immer noch Dizzee Rascal. Da sind wirklich Sachen dabei, wo man das Gefühl hat, das kenne ich nicht. Und sich dann zu fragen, was seid ihr für Menschen? Was habt ihr vor? (lacht)

Ich glaube, Sleaford Mods wurden auch überrannt. Die können das wahrscheinlich immer noch nicht glauben, dass sie in großen ausverkauften Hallen spielen und als Headliner auf Festivals.

Textor: Aber wem würde man mehr Erfolg gönnen als den zweien? Mir fällt niemand ein, überschüttet sie mit Millionen.

Auf jeden Fall. Das haben sie verdient.

Textor: Das ist eine Sache, die mich sehr hoffnungsvoll macht. Das da zwischen drinnen Platz ist für zwei, die hart gearbeitet haben. Es wird einem nicht geschenkt und es gibt noch viele Leute, die darauf Bock haben. So runtergeraspelt sind wir dann doch nicht.

Rappen mit 80. Geht das noch?

Textor: Ja, ich glaube schon. Mit 30 habe ich mir die Frage gestellt, ob rappen mit 40 noch geht und da war ich mir nicht so sicher. Ich weiß nicht ganz genau, welche Form es dann annimmt. Man kann es poetisch so minimieren und so eindampfen, dass man am Ende eines Tracks drei Worte gesagt hat, wenn die richtig sitzen, dann wäre das auch Hiphop für mich. Es ist so wie man sich Kampfsport wünscht. Nach 60 Jahren Training reicht dieses eine kleine Ding, um jemanden in Schacht halten zu können. Ich denke das ist möglich, aber wird viel Hingabe kosten.

Und man muss sich an seine Texte erinnern.

Textor: Das kommt darauf an, ob man mit 80 noch live spielt oder eher im Studio bleibt.

Die Stones sind ja auch noch gut unterwegs.

Textor: Das stimmt. Aber die sind von Anfang an gepampert worden. Die machen ja keine Ochsentouren. Die können sich nur auf Musik machen und Altern konzentrieren. Wenn du das auf Straßenlevel 60 Jahre machst, dann ist das noch mal eine andere Nummer. Ich muss aber auch noch hinzufügen, dass einem die Musik natürlich auch am Leben hält. Vielleicht hat man das Pech aus der Kurve zu fallen, aber es bringt dir so viel auf der seelischen, aber auch körperlichen Ebene. Deswegen ist es auch kein Festhalten, sondern eher die Hoffnung, dass Musik machen das letzte ist, was ich tue.

Während der Pandemie ist mir das auch noch mal aufgefallen, wie gut Musik tut. Also, bei mir vorwiegend als Zuhörerin und Zuschauerin.

Textor: Und mir ist aufgefallen und Freunden auch, dass wir viele Dinge tun und Sachen machen, die uns eigentlich nicht gut tun, und ich versuche gerade zu verstehen, warum wir nicht mehr machen von den Dingen, wo wir wissen, das sie uns gut tun. Wir wissen es ja, aber warum machen wir es nicht?

Eben. Also, mehr kochen, mehr Essen, mehr Platten hören.

Textor: Musik machen. Mit Freunden Musik hören. Das wäre die Maßnahme.

Letzte Frage. Musik und Essen passen zusammen, wie…

Textor: Es ist beides existenzielle Nahrung, ohne geht es nicht. Auf unterschiedlichen Ebenen. Und auf der ersten Ebene ist es einfach sinnvoll.

Sehr schön. Vielen Dank.

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