Johanna ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, 26 Jahre, arbeitet seit Dezember 2018 auf der Intensivstation der Infektiologie und Pneumologie an der Charité in Berlin. Unabhängig davon was sie für einen tollen Job leistet ist sie eine sehr coole junge Frau. Wir trafen uns bereits im Mai auf Abstand und redeten sehr offen über den Tod und das Sterben. Ihren Arbeitsablauf auf der Station vor und während Corona, wie genau die Intubation funktioniert und die sehr schnellen Veränderungen mit Covid-19. Ihre Antworten sind direkt und bereits während der Kontaktsperre befürchtete Johanna, dass nach den Lockerungen alle wieder zur Normalität übergehen. Der künstliche Hype um die systemrelevanten Berufe lässt auch wieder schnell nach und kaum einer hält sich mehr an die Hygienemaßnahmen.
Covid-19 will kein Mensch haben, und man kann es immer nur wiederholen: Tragt eure Mund-Nasen-Bedeckung richtig, nehmt Abstand und verhaltet euch rücksichtsvoll. Macht es nicht nur für eure Omas und Opas, sondern auch für Freunde und für das gesamte Personal im Gesundheitswesen. Hier möchte ich gerne Bernd Begemann zitieren, der das kürzlich auf seiner Facebook Seite sehr treffend beschrieben hat: „Wer ohne Seil Bungee springen will, soll das gerne machen. Wer keinen Abstand hält und ohne Maske unter Leute geht, ist ein(e) wissenschaftsferne(r) Querulant(in) und Gefährder(in). Meine Bekannten in den medizinischen Berufen verachten die selbsternannten „Querdenker“ zutiefst und verzweifeln an ihrem gemeingefährlichen, falsch verstandenen „Individualismus“. Diese Sache ist ernst und wird auch ohne kindlich-trotziges Verhalten einiger Mitbürger sehr schwer in den Griff zu bekommen sein. Es dauert eventuell ein Jahr, vielleicht zwei. Gewiss ist nur dies: einen zweiten Lockdown würden wir wahrscheinlich nicht durchstehen und wer grundsätzliche Hygienemaßnahmen während einer Pandemie verweigert ist kein mutiger Rebell, sondern asozial.“ (Quelle)
Vielen Dank, Bernd und vor allem vielen Dank an alle verantwortungsvollen Menschen in den medizinischen Berufen, die sich jeden Tag den Arsch für uns abarbeiten. Vielen Dank, liebe Johanna, dass du dir in deinem Urlaub Zeit für dieses Gespräch genommen hast.
Seit wann bist du in Berlin?
Johanna: Ich bin 2015 nach Berlin gekommen um die Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegerin zu machen.
Krankenschwester sagt man gar nicht mehr?
Johanna: Nee, man sagt Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin.
War es schon immer dein Wunsch in der Krankenpflege zu arbeiten?
Johanna: Ich war als Kind sehr oft im Krankenhaus. Ich hatte immer so blöde Unfälle, deshalb war Krankenhaus für mich eher was Negatives und Ärzte empfand ich als unangenehm. In dem Krankenhaus meiner Heimat.
In Mössingen…
Johanna: Genau. Das war auch eher eine kleine Klinik, die es so heute auch gar nicht mehr gibt. Aber ich fand es immer schlimm, wenn es hieß, wir müssen wieder in die Klinik. Ich habe mich da nie wohlgefühlt. Die waren auch gar nicht kindgerecht, so habe ich das zumindest in Erinnerung. Von daher habe ich nie darüber nachgedacht, in dieser Richtung etwas Berufliches zu machen.
Stimmt. Krankenhäuser mag man eigentlich nicht. Es riecht immer komisch und eigentlich ist es ja auch nicht schön, dort jemanden zu besuchen. Wobei ich letztes Jahr meinen Bruder in der Charité besucht habe und das war in diesem modernen Teil. Das ist auch noch mal ein Unterschied.
Johanna: Das Hochhaus in Mitte? Stimmt, das ist sehr modern. Wir sind nebenan in den alten Backsteingebäuden.
Ah, ok. Wurde da nicht auch die ARD-Serie „Charité“ gedreht?
Johanna: Das kann sein. Das Hochhaus war auf jeden Fall im Umbau, als ich 2015 dort angefangen habe. Das ist schon ganz schick und sieht eher nach der Serie „In aller Freundschaft“ aus (lacht).
Und wie bist du dann doch in einem Krankenhaus gelandet?
Johanna: Nach dem Abitur bin ich für ein Jahr nach Kanada gegangen und dachte mir dort, wenn ich zurück nach Deutschland komme, dann muss ich auf jeden Fall einen Plan haben. Ich habe dann kein Geld und nichts zu tun. Zuerst dachte ich, ich will auf jeden Fall studieren, weil ich das auch von meinen Geschwistern kannte und sonst hätte ich das Abi auch ganz umsonst gemacht. Aber mich hat kein Studiengang so wirklich überzeugt. Gesundheitsmanagement war etwas, das mich interessierte aber die Voraussetzung dafür war eine dreijährige Ausbildung im Gesundheitswesen. Und da kam ich dann auch erst drauf, dass eine Ausbildung gar nicht so schlecht ist, weil ich da auch Geld verdiene. Als ich dann aus Kanada zurückkam, hatte ich auch sofort den Drang wieder wegzugehen. Ich habe mir dann erst mal einen Job gesucht, um Geld zu verdienen und die beste Bezahlung gab es bei der Diakonie in Mössingen. Die haben mich auch sofort als hauswirtschaftliche Mitarbeiterin eingestellt, ohne Ausbildung.
Was macht man da?
Johanna: Da gehst du zu den Patienten direkt nach Hause und macht alles was nicht medizinische Funktionspflege ist, also man duscht die Menschen, geht für sie einkaufen, bereitet Essen zu oder hilft einfach im Haushalt. Da gibt es verschiedene Funktionen. Zu meiner Oma kommt zum Beispiel zweimal die Woche jemand und putzt die Wohnung.
Das ist dann aber auch schon eine große Verantwortung, also jemanden zu duschen…
Johanna: Das stimmt. Ich fand es auch interessant, dass die mich einfach genommen haben, weil ich ja gar keine Erfahrung in dem Bereich hatte.
Die haben einfach zu wenig Personal…
Johanna: Genau, die brauchen Leute und die einzige Voraussetzung war ein Führerschein, wenn möglich ein eigenes Auto. Ich habe einen Dienstwagen bekommen und dann gleich auch eine eigene Tour mit 16 Patienten, für die ich verantwortlich war. Die habe ich dann über die Woche hin alle versorgt.
Und du hattest nie Berührungsängste?
Johanna: Ich bin die erste Woche mit einer Kollegin mitgefahren und wir haben das zusammen gemacht. Am Anfang dachte ich, dass ist so befremdlich, bei Fremden in die Wohnung zu kommen und dann ist da nicht aufgeräumt und alles in keinem guten Zustand. Meine Aufgabe ist es aber jetzt nicht, alles nach meinen Vorstellungen auf- oder umzuräumen, sondern ich soll den Leuten helfen, dass sie ihr Leben bewältigen können. Ich musst es erst lernen mit einem anderen Blick und anderem Gefühl in die Wohnungen zu gehen. Auch mit 21 Jahren zum ersten Mal jemanden zu waschen oder zu duschen, daran muss man sich auch gewöhnen. Ich habe das zwar bei meinen Großeltern gesehen, weil meine Mutter meine Oma und meinen Opa gepflegt hat, aber das ist ja auch noch mal was anderes als bei wildfremden Leuten. Oder auch bei Menschen, die man vom Dorf kennt oder zumindest die Angehörigen. Das war schon eine interessante Erfahrung und mit der Zeit hat mir das soviel Spaß gemacht, dass ich mir dachte, warum kann ich nicht auch die Sachen machen, für die extra noch mal eine Krankenpflegerin kommen muss. Die kamen dann oft nur für eine Insulinspritze, haben die Tabletten abgestellt und waren nach fünf Minuten wieder weg. Die waren alle auch sehr überlastet und hatten gar keine Zeit für die Patienten.
Das muss eine wahnsinnige Belastung sein und der Patient kommt dabei menschlich natürlich auch zu kurz. Aber da bleibt ja keine Zeit?!
Johanna: Oft ist die Krankenpflege am Tag der einzige Kontakt, aber die müssen ja mehrere Menschen besuchen.
Und du hattest etwas mehr Zeit für deine Patienten?
Johanna: Ich habe oft Überstunden gemacht, weil ich die Begegnungen so interessant fand. Ich habe meine Tour dann entsprechend umgestellt. Zu der Dame, die mir erzählt hat, wie es ihr als Kind ergangen ist, ging ich am Schluss hin und hatte dann auch keinen Zeitdruck.
Da kommen sicherlich viele interessante Geschichten zusammen. Da ich keine Gelegenheiten hatte, meine Omas und Opas zu fragen, wie das damals im Krieg und so war, finde ich es immer interessant, wenn sich die Möglichkeit ergibt.
Johanna: Ja auf jeden Fall. Auch die Geschichten über das Dorf in dem man groß geworden ist. Die ältere Generation hat den Zweiten Weltkrieg noch mitgemacht und kann erzählen, wie es dort früher aussah.
Und wenn du dann nach Hause kommst, bist du wahrscheinlich fertig, aber das ist doch auch ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass man gerade ein paar Menschen zugehört und geholfen hat.
Johanna: Ich habe zwar oft schon um 5 Uhr morgens angefangen, aber war meistens schon gegen 12 Uhr fertig. Ich hatte dann noch den ganzen Tag und demnach war das gar keine so anstrengende Arbeit. Und ja, ich bin immer mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen. Jetzt habe ich etwas für jemand anderen gemacht. Davor war man ja eher immer auf seiner Egotour. Nach dem Abitur bin ich direkt ins Ausland und habe dort auch nichts Gemeinnütziges gemacht.
Das finde ich jetzt aber eher verständlich, dass man nach dem Abitur was für sich macht.
Johanna: Das stimmt. Ich habe schon auch gemerkt bei der Arbeit in der Diakonie, dass die Menschen sich gefreut haben, wenn sich jemand um sie kümmert und ihnen zuhört. Und wenn es nur sonntags ein Kaffee war, den ich ihnen gekocht habe.
Hattest du dann auch mal überlegt in Richtung Altenpflege zu gehen?
Johanna: Ich hatte damals mit der Chefin der Diakonie darüber geredet, dass ich eigentlich gerne mehr in Richtung medizinische Pflege gehen möchte. Sie hat mir geraten, auf jeden Fall die allgemeine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu machen. Damit könnte man später mehr anfangen, auch wenn ich in Richtung Kinderkrankenpflege gehen möchte. Das fand ich dann auch logisch und auch gut, dass man die Möglichkeit hat sich weiterzubilden.
Wie lange hast du in der Diakonie gearbeitet?
Johanna: Ein Jahr.
Und danach dann auch gleich nach Berlin? Warum eigentlich Berlin?
Johanna: Ich hatte den Drang, möglichst weit weg von zu Hause zu sein. Das tut mir auch ein bisschen leid, aber es musste ein Ort sein, den vorher noch keiner meiner Verwandten bereist hat. Bei fünf Geschwistern gibt es dann gar nicht mehr so viel Möglichkeiten. Köln kam nicht in Frage, weil da schon mein Bruder war. In Heidelberg hatten auch schon zwei Schwestern von mir studiert. Ich wollte nicht, dass mir da jemand reinredet, so von wegen: „Ah ja, kenne ich. Da musst du unbedingt in das Restaurant und da mal hingehen…“. Sowas hat mich wahnsinnig genervt. Das war auch schon bei meinem Auslandsaufenthalt so, weil das ja auch viele schon hinter sich hatten. Ich wollte einfach mein Eigenes haben, wo keiner mitreden konnte und sich irgendwie einmischen. Und dann habe ich mich u.a. in Berlin beworben, weil meine Oma auch immer davon erzählt hat. Mein Opa kam ursprünglich aus Berlin und ist dann während des Krieges nach Süddeutschland gekommen und hat da meine Oma kennengelernt. Er war wohl damals eine so genannte „Schaugeburt“ in der Charité. Er wurde 1927 geboren und dafür bekam man dann Geld.
Interessant. So wie in der Serie „Charité“. Da sah man auch immer wie Patienten den Studenten öffentlich zur Schau gestellt wurden.
Johanna: Genau und das hat meine Oma immer erzählt: Der Opa war eine Schaugeburt. Mein Vater war auch schon als Kind in Berlin. Meine Oma hatte ihn damals zu ihren Eltern geschickt für ein Jahr. Und deshalb fand ich diese Stadt und eben auch die Charité immer schon interessant.
Und jetzt arbeitest du also in den alten roten Gebäuden der Berliner Charité. Wie genau heißt eure Abteilung noch mal und wen behandelt ihr dort?
Johanna: Intensivstation für Infektiologie und Pneumologie. Bei uns kommen alle Patienten mit Lungenkrankheiten rein und Infektionen. Also, zum Beispiel Tuberkulose und wenn sie in einem kritischen Zustand sind und intensiv behandelt werden müssen. Malaria ist auch ein häufiger Fall, wenn es intensiv- medizinisch betreut werden muss.
Oder jetzt auch Covid-19.
Johanna: Genau. Wir haben auf unserer Intensivstation jetzt nur noch bestätigte Corona-Patienten.
Und wo kommen dann jetzt die Patienten hin, die zum Beispiel an Malaria erkrankt sind?
Johanna: In der Charité gibt es weiterhin auch Non-Covid-Stationen, also Intensivstationen, die keine Coronafälle aufnehmen. Als dann sichtbar wurde jetzt werden es mehr Coronafälle, haben wir die Station umgebaut und die Patienten ohne Corona, die aber auch intensivpflegerisch betreut werden mussten, nach und nach auf die anderen Stationen verlegt.
War dir damals bei der Ausbildung schon klar, dass du in diese Richtung Infektiologie und Pneumologie gehen wolltest?
Johanna: Du kannst dich zu Beginn der Ausbildung für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege spezialisieren. Und dann teilt sich das später noch mal auf und ich habe mich für Gesundheits- und Krankenpflege entschieden. Nach der Ausbildung hat die Charité unserer Ausbildungsgruppe dann angeboten, dass sie uns alle übernimmt. Man konnte dann Wünsche äußern, auf welche Stationen man gerne gehen würde. Ich hatte schon auf der Intensivstation vorher viel Zeit verbracht. Dort habe ich auch mein Examen gemacht und kannte schon die Leute und den Ablauf. Auf die Fachrichtung habe ich dabei gar nicht so geguckt, sondern ich fand das Team super.
Ach so, dann hast du mehr auf die Kollegen geachtet als auf die Station.
Johanna: Genau, das Team war wirklich herausragend. Natürlich habe ich mir auch überlegt, ob ich das packe, sofort nach der Ausbildung auf die Intensivstation. Ich übernehme da schon sehr viel mehr Verantwortung, als auf einer peripheren Station, also einer normalen Station, wo die Leute nicht so schwer krank sind. Ich habe viel mehr Parameter im Blick und es wird viel mehr verlangt, worauf ich achten muss. Die Station hat mir das auch angeboten und zugetraut und ich dachte mir, warum nicht jetzt schon die Herausforderung annehmen.
Neben dem physischen Stress ist das doch auch eine große psychische Belastung? Gerade wenn man in so einem jungen Alter, soviel Verantwortung für andere Menschen übernehmen muss? Schon vor Corona hast du immer schon mit Tod und Sterben zu tun.
Johanna: Ja. Ich fand es aber auch schon spannend, wenn dann Fälle reinkommen, wie die offene Tuberkulose.
Das ist was noch mal genau?
Johanna: Eine Infektionskrankheit, die die Lunge befallen kann. Eigentlich gibt es die hierzulande nicht, aber dennoch kann sie ausbrechen und ist hochansteckend.
Da muss ich noch mal auf die Serie zurückkommen. „Charité“. Da hatte Robert Koch doch mal einen Impfstoff entwickelt, der aber nie gewirkt hat bzw. zugelassen wurde.
Johanna: Ist schon länger her, dass ich die Serie gesehen habe, aber ja, es gibt einen Impfstoff, der aber in Deutschland nicht verwendet wird. Gibt auch viele Nebenwirkungen.
Wann habt ihr denn auf der Station von Covid 19-zum ersten Mal gehört?
Johanna: Ich weiß schon, dass es im Dezember, Januar ein Thema war, aber da haben es die meisten noch sportlich gesehen. Ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, aber es gab so eine App, also ein Spiel, wo man die Verbreitung eines Virus inszenieren kann. Da kannst du selbst festlegen, welches Land stärker betroffen wird oder nicht. Ich weiß noch, dass ich es krass fand, dass Leute das spielen und es auch noch Corona nennen. Wenn man sich das jetzt überlegt ist das schon sehr bitter.
Allerdings und in der Zeit ging das in China und Italien doch auch schon los. Nein, von diesem Spiel habe ich nicht gehört.
Johanna: Das war so Ende letzten Jahres, als Corona schon ein Thema war, aber halt noch nicht für Deutschland. Das war noch sehr weit weg.
Daran kann ich mich auch noch erinnern, als im Dezember 2019 von einer schweren Lungenkrankheit in China berichtet wurde. Aber da hatte man das noch gar nicht auf dem Schirm. Aber dann so ab Februar ging das ja Ratzfatz und die Meldungen wurden von Tag zu Tag immer beunruhigender.
Johanna: Das erste Mal auf Station besprochen wurde es dann Anfang Februar. Es gab dann immer wieder Verdachtsfälle. Das war dann eine unsichere Zeit, weil man jeden isolieren musste und man aber auch gar nicht genau wusste, wie und dann war man zu vorsichtig oder nicht. Die Tests waren da auch noch nicht so genau. Mitte Februar gab es jeden Tag auf der Station Updates und noch eine Mail, zusätzlich Besprechungen und einen Stufenplan, wie wir die anderen Patienten verlegen. Und plötzlich ging dann alles ganz schnell. Den ersten bestätigten Coronafall hatten wir Anfang März auf der Station.
Und wahrscheinlich ist eure Station sowieso immer gut besucht?
Johanna: Das stimmt. Wir sind eigentlich immer voll besetzt.
Mit was für Krankheiten kommen denn die meisten Patienten bei euch auf Station?
Johanna: Die Station ist aufgeteilt. Auf der einen Seite gibt es die Weaning-Patienten, also die Menschen, die entwöhnt werden von der Beatmung.
Wer muss denn beatmet werden?
Johanna: Patienten, die an einer obstruktiven Erkrankung leiden. COPD (eng. chronic obstructive pulmonary disease). Das sind chronische Erkrankungen. Obstruktiv steht für eine Verengung der Atemwege. Bei Rauchern kommt das oft vor, die haben Schwierigkeiten beim Ausatmen, weil deren CO2 Wert im Blut steigt und die müssen dann künstlich beatmet werden.
Das stelle ich mir ganz schlimm vor, nicht richtig atmen zu können. Das muss doch auch voll auf die Psyche gehen. Man kennt das selbst ja, wenn man sich verschluckt oder bei einer starken Erkältung, wenn man durch die Nase kaum Luft bekommt. Aber das ist ja harmlos dagegen.
Johanna: Ja, das stelle ich mir auch sehr schlimm vor. Also, die meisten Patienten, die bei uns liegen haben in der Regel immer eine COPD Vorerkrankung und dann gibt es Fälle, die auf diese chronische Erkrankung noch einen Infekt bekommen. In der Winterzeit gibt es dann auch viele Influenza-Patienten. Ansonsten gibt es dann noch Malaria-Erkrankungen, die einen schweren Verlauf haben.
Und bei Malaria, da gibt es doch eigentlich Prophylaxe?
Johanna: Ja, aber das sind oft Urlauber, die dann keine Prophylaxe genommen haben. Dann gibt es auf der Station noch ein ARDS-Zentrum (Acute Respiratory Distress Syndrome). Das bedeutet akutes Lungenversagen oder Atemnotsyndrom, also Verschlechterung der Lungensituation.
Da bekomme ich schon vom Hinhören Atemnot. Wie kommt es zu diesem Syndrom?
Johanna: Das kann passieren bei Patienten mit einer COPD Erkrankung und sich dazu in der Lunge ein Infekt bildet.
Kann das dann eine Lungenentzündung sein?
Johanna: Genau. Das ist die Pneumonie und die kommt meistens dann noch oben drauf.
Dann seid ihr ja auf jeden Fall die Spezialisten was die Lunge und Beatmung angeht. Ihr kennt ja dann schon die Horror-Szenarien. Wie funktioniert das genau mit der Beatmung?
Johanna: Man kann jemanden nicht invasiv beatmen, das wäre dann zum Beispiel über eine Maske. Bei uns bekommen die Patienten oft am Anfang ein High-Flow, das ist eine Nasenbrille, worüber Sauerstoff in einer sehr hohen Dosis abgegeben wird. Der normale Sauerstoffgehalt der Raumluft hat 21%, das was wir alle einatmen und die Patienten haben dann einen Bedarf von 80%. Mit dieser High-Flow-Therapie kann man dann noch entgehen, dass jemand intubiert werden muss. Meistens werden die Patienten aber intubiert.
Wie funktioniert das genau mit der Intubation?
Johanna: Die bekommen Medikament, u.a. das Narkosemittel Propofol zum Einschlafen. Das kennt man vielleicht noch von Michael Jackson (eine akute Vergiftung durch Propofol galt als Todesursache des Sängers). Dann bekommen sie auch unbedingt etwas gegen Schmerzen und ein Muskelrelaxans, damit sich die Muskulatur entspannt. Dann werden sie die ganze Zeit überwacht, weil Propofol den Blutdruck senkt. Der Arzt kann dann mit einem Spatel, wo so eine Art Taschenlampe dran ist, in die Atemwege bis zur Lunge schauen. Dann schiebt man den Tubus rein, der wird geblockt von einem Luftballon, so dass der den Rest der Luftröhre abdichtet, damit keine Sekrete in die Atemwege gelangen. Die Beatmungsmaschine wird dann an dem Tubus angeschlossen und somit ist eine sichere künstliche Beatmung möglich.
Und wie lange die künstliche Beatmung dauert, ist dann unterschiedlich?
Johanna: Ein paar Stunden bleiben sie auf jeden Fall im künstlichen Koma. Das hängt dann davon ab, wie krank der Patient ist. Die werden also erst mal intubiert, damit die Lunge eine Chance hat sich zu erholen. Bei manchen ist es therapeutisch dann noch notwendig, dass man sie im komatösen Zustand einmal auf den Bauch dreht, weil das besser ist für die Belüftung der Lunge und das Sekretmanagement. Viele haben nämlich zusätzlich noch das Problem mit zu viel Sekret. Da die Patienten sich im Tiefschlaf befinden und dementsprechend schwer sind braucht man für dieses Umdrehen fünf Pfleger. So liegen sie dann 16 Stunden und das bedeutet auch entsprechende Vorbereitungen, weil das ja kein normaler Zustand ist. Man bewegt sich ja sonst immer.
Wahnsinn. Fünf Leute und habt ihr genügend Schutzkleidung und Masken?
Johanna: Es war nie so, dass ich irgendwie mal ins Leere gegriffen hätte, aber es wird schon zwischenzeitlich darauf hingewiesen nicht zu viele Masken zu verbrauchen.
Aber gerade ihr braucht doch diesen Schutz. Das ist doch irre.
Johanna: Wir müssen die FFP2 Masken tragen, weil wir uns schützen müssen. Gerade beim Intubieren, wo ich ja dem Arzt assistiere und das hoch infektiös ist. Da entsteht dann schon leichte Panik, wenn es heißt, nur eine Maske pro Dienst. Normalerweise wechselt du die mehrmals am Tag.
Puh, wurdet ihr denn schon mal getestet?
Johanna: Ja und bisher gab es bei uns noch keinen Fall.
Zum Glück. Und wie gehst du damit um, dass jetzt durch Covid-19 wahrscheinlich die Sterberate noch mal höher ist? Also, mit dem Tod warst du sicherlich schon immer konfrontiert, aber hat sich das durch Corona verschlimmert?
Johanna: Ich habe schon vor Corona gedacht, krass, hier sterben wirklich viele Leute. Dann gibt es aber auch Phasen, wo Patienten sich wieder erholen oder auf andere Stationen gebracht werden. Mit Corona ist es jetzt eher wieder eine Phase, wo in kürzester Zeit sehr viele Menschen sterben. Ich finde es immer schlimm, wenn jemand stirbt, aber jetzt finde ich die Umstände schlimmer. Da sterben ja auch Menschen, die jünger sind, ohne Vorerkrankungen und das letzte was sie sehen sind Leute in komischen Raumanzügen. Die Angehörigen dürfen nicht dazukommen, wenn jemand stirbt. Und wenn man sich von einem Toten verabschiedet, dann muss man sich in so eine Schutzkleidung zwängen und kann seinen geliebten Menschen gar nicht mehr berühren. Das finde ich schon immer noch sehr schlimm die Vorstellung. Es gibt keine direkte Haut-an-Haut Berührung, sondern hält dann nur durch einen Handschuh die Hand des Toten.
Das ist sehr traurig. Und dann sieht man draußen die Leute, die keinen Abstand halten und sich nicht an die einfachsten Hygieneregeln halten. Wahrscheinlich verstehen die es erst, wenn der erste in der Familie oder im Freundeskreis stirbt?! Wie verarbeitest du diese hohe Zahl an Toten?
Johanna: Wenn jemand gleich zu Beginn des Dienstes stirbt, das fand ich am Anfang schon krass. Man hat ja noch andere Patienten, um die man sich kümmern musste. Du lernst dann aber auch von deinen Kollegen und guckst dir ab, wie die das Managen. Du musst dir irgendwie angewöhnen, dass du für die anderen Patienten da bist und konzentriert arbeitest. Aber trotzdem hat der Sterbende auch verdient, dass man würdevoll mit ihm umgeht und sich auch einen Moment Zeit nimmt, um darüber nachzudenken, was da eigentlich passiert ist. Es kommt auch darauf an, wie die Menschen sterben. Wenn man weiß, dass die Familie noch zum Abschied dazu geholt werden kann oder man selbst dabei sein kann, ist es noch mal was anderes, als wenn du jemanden reanimierst und alles hektisch ist. Es wurde alles gegeben und dann stirbt der Patient trotzdem. Danach fühle ich mich oft irgendwie alleine, weil erst kommen alle Ärzte und Pflegepersonal, dann gehen alle wieder und du stehst allein da im Zimmer und musst es irgendwie weiterarbeiten.
Untereinander habt ihr wahrscheinlich auch nicht viel Zeit darüber zu reden?
Johanna: Mal mehr, mal weniger. Es kommt immer darauf an. In meinem Team läuft das eigentlich gut, zum Beispiel wird es nach einer Reanimation immer noch besprochen und darüber geredet. Es gibt auch Team-Sitzungen bei besonderen Fällen, in denen alles noch mal aufgearbeitet wird. Das finde ich auch immer ganz hilfreich.
Und gibt es auch psychologische Unterstützung?
Johanna: Es gibt eine Traumabewältigung. Die habe ich aber noch nicht in Anspruch genommen.
Ich stelle mir das sehr stressig vor. Auch jetzt in der Corona-Welle. Werden alle Stationen überlastet sein oder hat man es doch noch im Griff? Gibt es ausreichend Personal, bleibt das Personal gesund? Da wirst du doch auch bekloppt.
Johanna: Es war anfangs auch anstrengend, weil man sich jedes Mal im Dienst darauf vorbereitet und auf der Hut ist.
Und es sind nicht nur die Älteren und vorerkrankten Menschen?
Johanna: Nee, ich würde schon sagen das ist bei uns durchmischt. Klar sind da auch Leute dabei die über 80 sind, aber es gibt auch Leute wie mich.
Im Moment heißt es, dass die Zahlen nicht dramatisch steigen, aber eure Betten sind wahrscheinlich dennoch gut belegt?
Johanna: Ich habe ja gerade Urlaub und war jetzt eine Woche nicht da, aber was viele von Außen oft nicht sehen ist, dass auf der Intensivstation Patienten liegen, die sich schon vor vier oder fünf Wochen infiziert haben und schwerkrank geworden sind. Nur weil die Zahlen generell fallen, heißt es nicht, dass die plötzlich gesund sind und aus dem Bett steigen und nach Hause gehen. Die Arbeit im Krankenhaus bleibt ja noch viel länger bestehen. Selbst wenn die Patienten dann von der Intensivstation verlegt werden, müssen sie ja weiterhin auf einer anderen Station betreut werden.
Und es gibt ja noch ein paar andere Fälle, die nichts mit Corona zu tun haben. Die wollen ja auch behandelt werden.
Johanna: Genau. Es gibt ja weiterhin auch Herzinfarkte oder andere Krankheiten.
Freust du dich denn wieder auf die Arbeit?
Johanna: Ja, ich freue mich drauf. Als die Kontaktsperre kam war ich wirklich froh, dass ich arbeiten gehen konnte, weil man ja sonst nicht wirklich etwas unternehmen konnte. Aber sowieso bin ich dankbar, dass ich diesen Job habe und machen kann.
Finde ich toll. Hört man ja eher selten, dass jemand wirklich Lust auf seine Arbeit hat.
Johanna: Für mich ändert sich ja auch nicht wirklich was.
Hast du keine Angst oder mehr Angst durch Corona?
Johanna: Angst habe ich eigentlich nicht. Am Anfang, als noch nicht klar war, dass man nicht reisen soll, wollte ich eigentlich noch zu meiner Schwester fahren. Aber dann kam der erste Fall auf die Station und ich habe zu meiner Familie gesagt, dass ich sie erst mal nicht besuche. Ich hatte jetzt keine Angst davor, dass ich sterbenskrank werde, aber ich hatte anfangs tatsächlich eher Panik, dass ich es an jemanden übertrage könnte es zu wissen. Ich bin dem Virus auf der Arbeit natürlich extrem ausgesetzt. Mittlerweile sind wir auf der Arbeit gut geschützt. Aber ich fahre ja trotzdem S-Bahn und könnte es mir dort einfangen. Ich hatte nie Angst um mich oder zur Arbeit zu gehen, sondern eher Angst, dass man es irgendwohin mithinträgt. Deshalb habe ich auch von Anfang an gesagt, dass ich in meiner Wohnung bleibe und nur zur Arbeit gehe und sonst nichts mache. Somit habe ich auf der Arbeit auch gesagt, dass ich mehr arbeiten kann.
Dann können deine Kollegen, Kolleginnen auch mal in den Urlaub.
Johanna: Ja, oder die mit Kindern können sich zu Hause um alles kümmern, weil Schulen und Kitas schließen. Oder auch die mit Überstunden können mal fernbleiben.
Mit dir würde ich gerne zusammenarbeiten. Interessiert sich dein Freundeskreis jetzt mit Corona mehr für deine Arbeit?
Johanna: Ja, ich glaube schon (lacht).
Die Fragen und Anrufe häufen sich…
Johanna: Tatsächlich bekomme ich Nachrichten von Leuten, von denen ich seit Monaten nichts gehört habe: „Wie geht es dir?“ Oder wie es auf der Arbeit läuft, wie sie denken, dass sie irgendwelche krassen Infos bekommen.
Ja, daran dachte ich jetzt eher, dass sie mehr inhaltliche Fragen stellen. Am Anfang ist mir das auch aufgefallen, dass man sehr viel telefoniert hat und auch ständig im Video-Chat war. Das fand ich aber auch ganz schön. Irgendwann hat das dann aber auch wieder nachgelassen, so Online-Konferenzen finde ich auch eher anstrengend.
Johanna: Ja, es kommen auch Fragen, sowas wie: Wie lange dauert das noch? Ja, Moment, ich frage mal gerade bei Herrn Drosten nach.
Genau, ihr trefft euch bestimmt immer schön in der Kantine, trinkt Käffchen und schaut auf die Uhr, wann das ganze endlich vorbei ist.
Mal was ganz anderes, hast du eigentlich eine Patientenverfügung?
Johanna: Ja. Die liegt aber witzigerweise bei meinen Eltern.
Und seit wann?
Johanna: Jetzt schon so seit einem halben Jahr. Ich habe das auch schon in meiner Familie verbreitet, dass ich es gut finde, wenn alle eine haben.
Ich muss das jetzt auch endlich mal machen. Plädiere auch schon lange dafür. Ich spreche aus Erfahrung, dass das ziemlich unschön sein kann, wenn es keine Verfügung gibt.
Johanna: Egal wie gut man jemanden kennt oder nicht kennt, es ist schon eine extreme Aufgabe sich in denjenigen hineinzuversetzen und was er oder sie letztendlich gewollt hätte. Man sollte ja nicht aus seinem eigenen Interesse heraus entscheiden, sondern möglichst nach bestem Wissen und Gewissen für denjenigen, der gerade in dieser Situation ist.
Wobei viele sich damit ja schon schwertun das festzulegen. Was will ich eigentlich? Deshalb schiebe ich das, glaube ich, auch schon die ganze Zeit vor mich her. Will ich eine Intubation das gehört ja eigentlich auch schon zu lebensverlängernden Maßnahmen?
Johanna: Ja, auf jeden Fall. Dabei muss man natürlich wissen, was das alles bedeutet. Wenn du einfach sagst, bitte keine lebensverlängernden Maßnahmen, dann kann ich dir auch keinen Zugang mit ein bisschen Flüssigkeit legen. Da muss man schon sehr genau sein. Das habe ich mit meinen Eltern auch gemacht.
Mit wem macht man das dann am besten, mit seinem Arzt?
Johanna: Ja, meine Eltern haben das mit ihrem Hausarzt gemacht. Du kannst das auch alleine machen. Ich habe mir die Unterlagen vom Bundesgesundheitsministerium schicken lassen. Da gibt es eine Infobroschüre inklusive Set, das du einfach ausfüllen kannst.
Das hört sich gut an. Danke für den Tipp. (Kann man sich hier zuschicken lassen). Ich finde, damit kann man sich nicht früh genug auseinandersetzen.
Wie ist das eigentlich mit Feedback auf der Station? Bedanken sich die Patienten oder Angehörigen regelmäßig bei euch? Gab es vor der Coronakrise schon Blumen oder Applaus?
Johanna: Applaus gab es vorher tatsächlich nicht, wobei ich davon auch nicht meine Miete zahlen kann. Aber von den Angehörigen bekomme ich immer ganz viel Anerkennung. Das war auch schon während meiner Arbeit in der Diakonie. Im Bekanntenkreis gibt es dann aber auch die Sparte: „Ach, du arbeitest im sozialen Bereich. Da verdient man doch nichts, da muss man ja auch nicht wirklich etwas können…“
Was? Sofort löschen!
Johanna: Und dann gibt es noch die: „Ach, da arbeitest du? Puh, das könnte ich nicht.“
Auch nicht besser. Da kannst du ja beide Aussagen dir irgendwo hinstecken…
Johanna: Genau, aber hauptsächlich gibt es doch ganz viel Dankbarkeit. Patienten, die einen ganz langen Leidensweg haben, ein halbes Jahr dort liegen und dann wieder laufen können. Es gibt auch Dankeskarten von Angehörigen, manchmal auch Spenden für die Station oder sogar Einladungen zur Beerdigung.
So gehört sich das doch auch. Ich habe meinem Lieblingszahnarzt in Köln auch schon mal ein Mettbrötchen mitgebracht und für die Praxis Kaffee, weil die immer so nett sind.
Johanna: Viele, deren Angehörige noch auf der Station liegen, bringen für uns dann auch Kuchen oder Salate mit. Das finde ich immer ganz süß, dass sie einfach was zum Essen mitbringen. Die denken daran, da sind Leute, die müssen arbeiten und kommen vielleicht nicht dazu sich was zu holen.
Das ist sehr nett. Da gibt es doch gerade auch die Aktionen von diversen Restaurants, die aktuell geschlossen bleiben müssen, aber trotzdem kochen und das Essen auch an soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, etc. verteilen. Kochen für Helden. (Essen für die, die den Laden in Zeiten der Krise am Laufen halten).
Johanna: Wir werden gerade überschüttet mit Essen. Ich finde das auch super nett und aufmerksam, dass da kommentarlos Mahlzeiten bei uns auf die Station geliefert werden. Aber mittlerweile ist das so viel, dass wir denen Bescheid geben müssen, dass wir das einfach nicht alles essen können. Da gibt es andere Bedürftige, die das viel mehr brauchen, wie zum Beispiel Obdachlose oder auch Tafeln, die im Moment ja auch wegen den ganzen Hamsterkäufen Probleme mit Lieferungen haben.
Ich glaube, selbst die Tafeln haben jetzt auch wieder alle offen, aber natürlich gibt es da sicherlich noch andere, die das Angebot nutzen können. Auf jeden Fall eine gute Aktion. Dagegen Klatschen ist doch eher für den Arsch, oder?
Johanna: Ja, ich fand das noch sehr süß, als sie in Italien das auf den Balkonen gemacht haben.
Genau. Die haben damit angefangen und das fand ich auch richtig schön. Die haben ja auch mehr gesungen und Musik gemacht. Damit haben sie sich gegenseitig bei Laune gehalten, weil die ja wirklich schon länger zu Hause hocken und nicht draußen spazieren durften.
Johanna: Genau und wenn das eine einzelne Person macht, so wie der Premierminister in London vor der Tür steht und in die Kamera klatscht, dann fühle ich mich nicht angesprochen. Ich fühle mich da eher veräppelt, wenn Leute bei Instagram Videos von sich posten, wie sie auf ihrem Balkon klatschen. Wem soll das was bringen? Also, mir nicht.
Das glaube ich dir gerne. Es sollte ja auch einen einmaligen Bonus für alle Krankenpfleger geben. Gab es das hier auch schon?
Johanna: Ja, es war die Rede von einer einmaligen Auszahlung, aber die sollte nur für Altenpfleger sein. Wir bekommen von der Charité für drei Monate eine Sonderzahlung. Also, ein Pandemie-Zuschlag. Zumindest dachte ich, dass das von der Charité ausgeht.
Immerhin. Aber auf Dauer mehr Gehalt wäre schon schöner. Glaubst du daran, dass sich nach der Pandemie für euch irgendetwas ändert?
Johanna: Man hofft natürlich, dass dadurch jetzt viele aufgewacht sind und denken: Ah ja, das ist systemrelevant und es muss sich was verändern. Aber ich glaube, es wird eher so sein, dass wenn sich alles wieder beruhigt hat, man das Thema wieder beiseiteschiebt.
Ich denke auch, dass es leider so sein wird. Auf der anderen Seite bin ich gerade zutiefst beeindruckt, wie viel Kohle da gerade zusammengeschaufelt wird. Also, das Geld ist doch da? Bitte gebt es doch auch haufenweise ins Gesundheitswesen. Und warum wird jetzt erst von den systemrelevanten Berufen so oft berichtet?
Johanna: Vor Corona hat man solche Berufe eher mit Füßen getreten und belächelt. Und jetzt hat jeder Zweite vielleicht gemerkt, dass man gerade seinem Vater oder der Mutter unmittelbar das Leben gerettet hat, und es wird einem bewusst, was solche Leute jeden Tag bei der Arbeit leisten. Und jetzt denkt man sich für fünf Minuten, ach ja, dann schenk ich denen jetzt mal eine Tüte Popcorn und dann wissen die mal, wie lieb ich die habe. Und in zwei Monaten ist dann wieder alles vergessen.
Genau, dann wird die Kassiererin wieder angemotzt und über die Krankenpflege wird dann auch nicht mehr so nett geredet.
Johanna: Genau, weil dann rege ich mich wieder darüber auf, warum ich so lange mit meinen Halsschmerzen in der Notaufnahme warten muss. Das ist ja auch gemein und dann ist wieder alles wie vorher. Und in den Supermärkten habe ich das jetzt auch schon oft gehört: Danke für ihre Arbeit. Da denke ich mir auch so, Junge, die Frau macht ihre Arbeit seit 20 Jahren. Und sie macht es jetzt genauso, wie vor drei Jahren. Und ich eben auch. Ich mache die gleiche Arbeit, wie vor Corona und ich möchte dafür jetzt nicht besondere Lorbeeren oder das Bundesverdienstkreuz bekommen, sondern es wäre eigentlich nur schön, wenn man diese Aufmerksamkeit auch außerhalb der Pandemie bekommen würde. Es bringt keinem was, wenn man zwei Monate hochgehalten wird. Und jetzt, wenn die Lockerungen kommen, wird es auch so sein. Die Leute werden wieder zur Normalität übergehen. Die Leute werden sich denken: Ah ja, super. Alles vorbei. Wir haben es geschafft, aber dass wir im Krankenhaus immer noch zu kämpfen haben, das wissen die einfach nicht und man lebt wieder in seinem Alltag.
Das ist mir wirklich ein Rätsel, wie man dann so einfach wieder alles vergessen kann. Natürlich muss es Lockerungen geben und irgendwie auch wieder weitergehen, aber dass der Driss noch nicht vorbei ist, sagt uns ja auch immer die Mutti am Bildschirm. Das stelle ich mir auch so ätzend vor. Dann kommst du völlig fertig von der Arbeit und siehst dann diese Idioten alle draußen auf einem Haufen beim Grillen oder Party machen…
Johanna: Ich weiß nicht, viele können das einfach ausblenden. Auch wenn es mir ja jetzt gut geht, kann ich nicht aufhören daran zu denken, dass meine Eltern zu Hause sitzen und sich langweilen und Sorgen machen. Meine Oma vereinsamt und wird wahrscheinlich gerade depressiv, weil sie niemanden sieht. Mir geht das halt oft sehr nah. Wenn bei uns ein Mann seine Frau verliert, dann kann ich nicht danach rausgehen und ein Eis essen. Da bin ich dann gar nicht in der Stimmung.
Ich finde das auch alles ziemlich belastend und habe auch eher Angst davor, dass irgendwann das Telefon geht und die Nachricht kommt, dass ein Verwandter oder Freund von mir verstorben ist. Jeder geht natürlich damit anders um, aber ich finde die anfängliche Solidarität lässt sehr schnell wieder nach und wenn ich dann höre, dass sich Leute in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen bevor die Kontaktsperre überhaupt angefangen hat. Abgesehen davon, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel Freiheiten haben.
Johanna: Das finde ich auch ganz schlimm. Wir reden doch hier von Menschenleben und da muss es doch möglich sein, sich für ein paar Wochen etwas einzuschränken.
Und ich habe auch Beschwerden gehört von Leuten, die sowieso immer zu Hause sind, also auch Homeoffice machen und eher häuslich unterwegs sind. Da fasse ich mir auch nur an den Kopf.
Johanna: Genau die. Die wollen dann jetzt plötzlich eine Reise durch Südamerika machen und regen sich auf. Leute, die 30 Jahre in ihrem Schlafzimmer verbracht haben wollen jetzt ohne Maske in der Bahn sitzen.
Unglaublich. Was oder wer fehlt dir im Moment am meisten?
Johanna: Meine Nichten und Neffen.
Du triffst sonst deine Familie regelmäßig?
Johanna: Ich bin schon oft zu Hause, ja. Vielleicht nicht jeden Monat, aber zum Beispiel jetzt, wenn ich weiß, ich habe drei Tage frei, dann würde ich auf jeden Fall zu einem meiner Geschwister fahren. Die fehlen mir auch. Und dann macht es mich auch traurig, selbst wenn ich die demnächst irgendwann wieder besuchen kann, dann dürfte man sich wahrscheinlich auch nicht in den Arm nehmen und das finde ich schon hart. Gerade mit den Kleinen, die dann auf dich zurennen.
Ich vermisse auch Umarmungen sehr. Das fällt mir auch schwer und finde ich ganz traurig. Und das wird ja noch länger so sein.
Johanna: Wenn ich da länger drüber nachdenke, macht mich das sehr traurig. Ich war jetzt vor Corona auch nicht die super Kuschelmaus, aber das fehlt einem schon.
Was glaubst du, wann wir wieder mit einem „normalen“ Leben rechnen können? Klar, wenn es einen Impfstoff gibt. Aber, wie schätzt du das ein? Hast du da eine Prognose?
Johanna: Für mich persönlich habe ich das Jahr quasi abgeschrieben. Ich glaube, da wird nichts mehr gehen. Ich hoffe aber, dass Reisen innerhalb von Deutschland einfacher wird. Im Moment würde ich mich noch nicht in den Zug setzen, um meine Eltern zu sehen. Da halte ich die Gefahr noch für zu hoch. Aber daran glaube ich eigentlich schon, dass das dieses Jahr noch möglich sein wird.
Das muss auf jeden Fall besser geregelt werden. Mehr Züge im Einsatz. Weniger Plätze besetzten und Mund-Nasen-Schutz. Bei der Lufthansa klappt das noch nicht so, wie ich das von einer Freundin erfahren habe.
Johanna: Ich glaube, das wird sich alles auch noch bis in den Frühling hinziehen. Viele Sachen werden bis dahin einfach noch nicht möglich sein. Und dann glaube ich, dass sich viele Sachen auch grundlegend ändern.
Die Abstandsregel kann man von mir aus beibehalten.
Johanna: Die finde ich auch generell in der Öffentlichkeit ganz gut. Und das S-Bahn-Türen sich jetzt automatisch öffnen, super.
Stimmt. Restaurants sollten bitte auch wieder öffnen können. Gerade in der Außengastronomie sollte das ja wieder möglich sein.
Johanna: Clubs werden sehr lange nicht öffnen dürfen.
Ja, Konzerte, Festivals. Ich wäre im Juni eigentlich wieder auf dem Primavera Festival in Porto. Das haben sie jetzt auf September verschoben, aber ich denke, dass wird auch nicht stattfinden bzw. würde ich dann auch noch gar nicht fliegen wollen.
Johanna: Der Festivalsommer ist gestorben und die Großveranstaltungen, die auf Ende des Jahres verlegt wurden? Ich glaube nicht, dass die stattfinden werden.
Das ist schon sehr traurig alles, nicht nur für die Musiker, auch die ganzen Bühnenbauer und Arbeiter, die damit zusammenhängen. Was machen die? Und die Schauspieler, die jetzt nicht drehen können. Gibt es dann nur noch Ein-Mann-Stücke? Schrecklich, nur noch Lars Eidinger nackt auf der Bühne… Was wünschst du dir für die Zeit nach Corona? Außer mehr Kohle…
Johanna: (lacht). Mehr Kohle geht immer. Nein, ich wünsche mir beruflich, dass die Anerkennung und Wertschätzung für unseren Beruf bleibt und dass wir alle da gut rauskommen. Also, vor allem gesund bleiben.
Das wünsche ich dir auch. Vielen Dank für dieses sehr gute Gespräch. Pass auf dich auf und entschuldige, aber eine Frage muss ich noch stellen. Bist du jemals Professor Dr. Drosten begegnet?
Johanna: Nein, dem Star bin ich noch nie begegnet. Der war mal bei uns in der Teamsitzung, aber da hatte ich Nachtdienst und habe das körperlich nicht geschafft hinzugehen. Ich hatte es probiert und mir sogar den Wecker gestellt, aber ich war zu müde. (lacht)
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